WAS?? – Wie, es gibt keine Kolumne? Das geht doch nicht!
Doch, das geht. Und dann habe ich mich doch nicht wohlgefühlt mit meinem klaren Nein zur Kolumne in der aktuellen Ausgabe des SPIRIT ME MAGAZIN.
Denn genau an der Stelle war ich über meine eigenen Füße bzw. Glaubenssätze gestolpert.
Wer mich ein bisschen kennt weiß, dass ich Themen nicht ausweiche. Erst recht nicht, wenn sie sich so deutlich zeigen. Also habe ich mich mit meinem Widerstand auseinandergesetzt und herausgefunden, dass es beim Thema Abgrenzung um viel mehr geht als:
Nein ist ein ganzer Satz!
Vielleicht kennst du diesen Spruch, der sich so einfach anhört, es aber definitiv nicht ist. Du kannst mir sagen, was du willst, aber ein Nein ist nie einfach. Weder für denjenigen, der es sagt, noch für den, der es empfängt. Ein JA ist leicht und einfach und viel schöner. Und es geht nicht darum, was schön und angenehm ist, sondern was uns selbst und unseren Bedürfnissen gerecht wird.
Die Betonung liegt auf Bedürfnissen. Diese zu erkennen und dann auch noch zu kommunizieren, fällt uns meistens nicht leicht und mir schon gar nicht.
Abgrenzung hat viel mit den eigenen Bedürfnissen, der inneren Wahrheit, und der Klarheit darüber, zu tun. Je besser ich mich kenne, umso leichter gelingt es mir, meine Grenzen ausloten, auf sie achten, entsprechend zu handeln – und sie am Ende auch zu kommunizieren.
Woher weiß ich, wo meine Grenzen sind?
Gute Frage. Meist merken wir das erst, wenn sie verletzt werden. Wenn jemand einen "wunden Punkt" getroffen hat. Wie oft emotionale Verletzungen mit Abgrenzung zu tun haben, war mir bis dato tatsächlich nicht bewusst.
Gut zu wissen: Grenzen sind sehr individuell, jeder Mensch hat einen völlig anderen Spielraum.
Dem einen muss man, bildlich gesprochen, erst auf die Füße treten, andere jammern schon, wenn man sie von weitem anschaut. Jeder hat seine Grenzen an einer anderen Stelle. Sie sind nicht nur davon abhängig, was wir in Kindheit, Familie und durch die Gesellschaft gelernt und erfahren haben, sie sind vor allem kontextabhängig.
Im privaten Umfeld gelten meist andere Regeln, als im beruflichen. Und auch diese Unterscheidung ist nicht ganz richtig, denn beim Zahnarzt sind die Grenzen andere als am Bankschalter. Und wenn ich mich mit einem Familienmitglied besonders gut verstehe, lasse ich mehr Nähe zu, als wenn mir jemand unsympathisch ist – unabhängig vom Verwandtschaftsgrad.
Bei meiner Recherche habe ich herausgefunden, dass Abgrenzung von unglaublich vielen Faktoren abhängig ist. Weißt du, was ich meine?
Was Zugehörigkeit mit Abgrenzung zu tun hat
Unser wichtigstes Grundbedürfnis ist Zugehörigkeit. Um uns zugehörig, gemocht und geliebt zu fühlen, tun und vermeiden wir sehr viel.
Grenzen wir uns ab, auf welche Art und Weise auch immer, dann bringen wir diese Zugehörigkeit möglicherweise in Gefahr.
An der Stelle spielen unsere Erfahrungen und Überzeugungen eine entscheidende Rolle.
Habe ich gelernt, die Erwartungen anderer wichtiger zu nehmen, als meine eigenen, dann wird es mir schwerer fallen, Grenzen zu setzen. Ein Nein kommt mir dann nicht so leicht über die Lippen. Kenne ich dagegen die Erfahrung, dass ich sein darf, wie ich bin, egal welche Meinung ich vertrete, dann fällt es mir leichter, für meine Bedürfnisse einzustehen.
Und dann gibt es wieder Situationen, in denen wir deutlich für unsere Bedürfnisse einstehen, obwohl das normalerweise nicht unsere Art ist. Und denjenigen, die gerne mal ein Nein auf den Lippen haben, fehlen plötzlich die Worte.
Grenzen haben viel mit Respekt zu tun
Und damit meine ich nicht nur den Respekt anderen gegenüber, sondern vor allem den Respekt uns selbst und unseren Bedürfnissen gegenüber. Denn was passiert denn, wenn wir unsere eigenen Grenzen – und damit unsere Bedürfnisse – nicht achten und respektieren?
Wir verletzen uns selbst.
Ich finde, das ist ziemlich harter Tobak.
Warum tun wir das? Auch hier sind die Gründe individuell und vielschichtig. (Sorry, für die Wiederholung dieses Satzes, aber es ist so.) Sie haben viel mit unseren Erfahrungen zu tun und den daraus resultierenden Überzeugungen – sprich Glaubenssätzen.
Manchmal hält uns die Angst vor einem Nein ab, mal wollen wir andere nicht enttäuschen, dann wieder fühlen wir uns schuldig oder haben ein schlechtes Gewissen, wenn wir Nein sagen.
Wie kann ich lernen, Grenzen zu setzen?
Eine gute Frage, zu der es viele mögliche Antworten gibt. Lass uns deshalb zu meinem Beispiel und dem "Stolpern über meine Glaubenssätze" zurückgehen.
Zuverlässigkeit ist einer meiner höchsten Werte. Verpflichtungen werden erfüllt. Komme, was wolle. Da bin ich ziemlich hart im Nehmen.
Mit dem Näherrücken des Erscheinungsdatums wurde ich zunehmend nervös, weshalb mein System den Druck ordentlich erhöhte. Vielleicht kennst du Sätze wie: "Stell dich nicht so an! Mach endlich! Du darfst die Leser*innen nicht enttäuschen!" usw. Damit kann ich mich ziemlich gut antreiben, in diesem Fall mit eher mäßigem Erfolg. Bei Druck funktioniert das Schreiben nämlich gar nicht mehr. Und genau das ist passiert.
Ich stand völlig verzweifelt im geistigen Nebel.
Gut, wenn wenigstens einer klar ist im Kopf. Denn Tina Maria antwortete auf meine Verzweiflung völlig entspannt: "Dann gibt es diesen Monat eben keine Kolumne" und schickte mir dieses Bild:
Wie jetzt, wir haben keine Kolumne für diese Ausgabe? Das können wir doch nicht machen! Ihre Aussage warf mein über Jahrzehnte gepflegtes Glaubensmodell völlig durcheinander. Das war jenseits meines Vorstellungsvermögens.
Gleichzeitig war es unglaublich entlastend und mir wurde erst in diesem Moment klar, dass es die einzige und richtige Lösung war.
Es war Neuland für mich und meinen Glaubenssatz – und ein Gamechanger.
Wie ich inzwischen aus den Rückmeldungen weiß, war das Statement nicht nur für mich ein wertvoller Impuls.
Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema Abgrenzung wurde mir klar, dass ich zwar viele Erfahrungen damit hatte und meine Grenzen oft genug verletzt wurden, ich aber noch kein Bewusstsein dafür entwickelt hatte. Deshalb der geistige Nebel.
Abgrenzung ist so viel mehr als ein Nein.
Es ist eine soziale Kompetenz und eine Kunst.
Jeder kann das lernen. Wann immer ich jetzt merke (und du kannst sicher sein, dass mir das nach dieser Erfahrungen auffallen wird), dass ich nicht auf meine Bedürfnisse achte, werde ich genauer hinschauen und alleine damit neues Bewusstsein schaffen. Wie das geht, das hat Tina Maria Werner in diesem Artikel erklärt: