Marita Eckmann: Heute ist Robert Krause zu Gast, der gemeinsam mit seinen Söhnen auf einem Floß in der kanadischen Wildnis unterwegs war.
Unser Vorgespräch wirkt noch sehr in mir nach. Auch, wie sich das Thema Freiheit durch dein Leben zieht und was du bereit bist, dafür zu tun. Es hat mich sehr beeindruckt, wie konsequent du Wege findest, ohne mit der Machete durch den Wald zu gehen, wie Tina Maria das immer so schön nennt.
Robert Krause: Ja, statt mit der Machete durch den Wald zu gehen, baue ich lieber ein Floß und lass mich den Yukon runter treiben…
Marita Eckmann: Gut auf den Punkt gebracht! Bevor du uns von eurem Abenteuer erzählst, möchten unsere Leser*innen natürlich wissen, was du in deinem Leben sonst noch machst. Du bist erfolgreicher Drehbuchautor, Schriftsteller, Regisseur, Produzent, Professor und lehrst im CLUB 23 in dreiundzwanzig Tagen die erste Fassung eines Drehbuchs zu schreiben.
Robert Krause: Es ist die Idee, dass sich unsere Teilnehmer die Freiheit nehmen, aus einer Grundidee und ohne ewig lange Entwicklungsprozesse, eine erste Fassung zu schreiben. Vor allem ohne Feedback, was in meiner Branche mitunter sehr, sehr zerstörerisch sein kann. Auf die eigene Stimme zu hören und zu schreiben, was aus ihnen herauskommt. Dreiundzwanzig Tage klingen immer so unglaublich kurz, denn andere brauchen ein Jahr dafür. Aber wir haben gemerkt, dass High-Speed-Schreiben große Freiheit bedeutet, weil sich irgendwann die Schreibstimme befreit und der innere Kritiker bei so einer hohen Geschwindigkeit nicht mehr hinterherkommt.
Marita Eckmann: Diesen Gedanken nehme ich gleich mal für mein eigenes Schreiben mit.
Robert Krause: Wir bieten einen sicheren Rahmen im Sinne von „es darf alles sein“ und gleichzeitig ganz viel Freiheit für Entwicklung. Und am Ende gibt es aber trotzdem, oder vielleicht genau deshalb, ein Ergebnis.
Marita Eckmann: Man könnte auch sagen, dass Verbundenheit befreit.
Robert Krause: Ja, genau.
Marita Eckmann: Lass uns nochmal zurückgehen in deine Geschichte. Du bist mit 19 Jahren aus der ehemaligen DDR geflüchtet. Wie kam es dazu, dass du diesen Entschluss bereits so jung gefasst hast? Das war ja sicher nicht ganz ungefährlich.
Robert Krause: Ich hatte Glück. In der ehemaligen DDR konnte man das Abitur mit einem Beruf kombinieren. Hatte Tischler gelernt, das Abitur in der Tasche und hätte ab Herbst den Grundwehrdienst, der 18 Monate dauerte, antreten müssen. Es war eine Phase, in der ich ohnehin ganz wenig Lust hatte, den Weg dort weiterzugehen.
Der Umbruch hatte sich, zumindest in Ungarn schon abgezeichnet und ich sah die Chance bei der Flucht nicht mehr mein Leben zu riskieren. Es hieß, dass an der ungarischen Grenze nicht mehr geschossen wird, sondern lediglich eine U-Haft droht und man, mit dem Stempel „Flüchtling“ im Pass, zurück nach Ungarn geschickt wird. Einzig wichtig war, dass man mit diesem Stempel besser nicht mehr zurückfahren sollte in die DDR.
Einmal geflohen, musste man es auch durchziehen und das war eigentlich die einzige Schwierigkeit. Ich war mit meiner Freundin damals in Ungarn und habe ihr erst dort erzählt, dass ich fliehen will. Wir haben drei Tage lang miteinander gerungen, denn sie hatte sehr viel mehr aufzugeben als ich. Am Ende kam sie dann doch mit.
Marita Eckmann: Wie ging es dann in Westdeutschland für dich weiter?
Robert Krause: Ich habe in München Informatik und Wirtschaft studiert, denn zu dem Zeitpunkt hielt ich mich noch nicht für kreativ. Ich merkte schnell, dass das nicht meins war, aber als Kind meiner Eltern habe ich das durchgezogen. Das war auch ein bisschen eine Ostmentalität. Wenn man ein Studium anfängt und der Staat in mich Geld investiert, ziehe ich das auch durch. Erst als ich fertig studiert hatte, habe ich mich an der Filmhochschule beworben.
Marita Eckmann: Wie kamst du auf das Thema Film?
Robert Krause: Mein Bruder, der heute als Cutter und Kameramann arbeitet, wollte Filmemacher werden. Ich fand es lustig, etwas mit ihm gemeinsam zu machen und habe mich dann in der organisierenden Seite eingefunden. Ich habe zwar auch Regie geführt, oder mal das Drehbuch für unsere Kurzfilme geschrieben, aber das nur, weil sonst keiner da war, der das übernommen hätte. Ich hatte damals noch keine Selbstwahrnehmung für den kreativen Input, den ich da einbrachte.
Das entstand erst an der Filmhochschule. Das Kreative hat mich schon gereizt, aber ich wollte Produzent werden und hatte Glück, bei der Ausbildung an der HFF in die verschiedenen Departments reinschnuppern zu können. In den Drehbuch-Seminaren von Doris Dörrie wollte ich eigentlich nur lernen, wie man mit Autoren arbeitet. Ich wollte nicht selbst schreiben. Aber sie sagte: „Ihr müsst jede Nacht eine Story schreiben.“
Ich habe abends drei Bier gebraucht, um vor dem Losschreiben den inneren Kritiker zu töten und war am nächsten Tag erstaunt, was ich dann geschrieben hatte.
Und da ich keine Angst vor dem Scheitern hatte, hatte ich auch keine Scheu, krasse Jobs anzunehmen. Und so kam es, dass ich zum Beispiel für einen Dokumentarfilm nach Afrika geflogen bin, um für den BR als Kameramann einen Dokumentarfilm zu drehen. Dass es mein erstes Projekt an der Kamera war, hatte ich nicht erwähnt. Ich hatte keinen Anspruch, im Sinne von „Oh Gott, wenn das jetzt schiefgeht, verliere ich meinen Beruf“. Das macht auch frei.
Marita Eckmann: Das kann ich bestätigen. Das nimmt jeden Druck und eröffnet neue Möglichkeiten. Das ist genauso eine Art von Freiheit wie Kreativität.
Robert Krause: Ja, es ist die Freiheit vom inneren Kritiker und vom inneren Anspruch. Klar wäre es doof gewesen, wenn ich versagt hätte, aber dann wäre es nach zwei Wochen eben vorbei gewesen. Meine Zukunft stand ja nicht auf dem Spiel.
Marita Eckmann: Wo hast Du Tina Maria Werner kennengelernt?
Robert Krause: Wir kannten uns von der HFF. Nicht persönlich, aber ihr Name war mir ein Begriff. Noch bevor ich Vater wurde hatte ich meine erste Floßtour mit einer kleinen Kamera gedreht und einen Trailer geschnitten. Ich wollte diesen Kanadatrip als Serie oder Film verkaufen, aber der BR hatte kein Interesse. Damals habe ich auch als Werberegisseur gearbeitet und sollte für BMW-Motorrad einen Pitch einreichen.
Am klassischen Pitch hatten sie kein Interesse, aber den Floßfilm-Trailer fanden sie interessant, weil er sehr authentisch war. Tina Maria war ebenfalls im BMW-Werbeumfeld unterwegs, neugierig auf meine Idee und so kam es, dass wir dann zusammengearbeitet haben, übrigens dann über mehrere Jahre hinweg.
Ein Abenteuer in der Wildnis als Ritual in ein neues Leben
Marita Eckmann: Du hast dieses Jahr eine Floßfahrt mit deinen Söhnen gemacht. Die Fotos und Filme auf Instagram habe ich gesehen. Was genau habt Ihr gemacht und wie entstand die Idee?
Robert Krause: Mein großer Sohn ging mit sieben Meilen Schritten auf das Ende des Abiturs zu und war sozusagen auf dem Weg raus in die Freiheit des Erwachsenenseins und mein kleiner Sohn sollte dieses Jahr 18 Jahre alt werden. Diese Stufe des Erwachsenwerdens wollte ich mit einem Ritual zelebrieren. Ich finde, dass wir das in der westlichen Welt viel zu wenig machen. In archaischen Kulturen werden die Jungs und mitunter auch die Mädchen, so richtig ins erwachsene Leben initiiert mit Ritualen. Mir leuchtet ein, wie wichtig es ist für die Entwicklung der jungen Seele, so was zu erleben. Das war der Antrieb.
Ich wollte das für meine Jungs auf die Beine stellen und die wiederum wussten von meiner Floßtour, die ich vor 20 Jahren gemacht hatte. Es war immer irgendwie Thema, dass sie das auch mal gerne machen würden. Und dann haben wir entschieden, das als Ritual für den Schritt ins Erwachsenwerden zu machen.
Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass es für mich auch ein Empty-Nest-Ritual war. Vom Vater, der seine beiden Söhne am Esstisch sitzen hat, zu einem Vater, der eben keine mehr zu Hause hat.
Marita Eckmann: Die Floßfahrt ist noch gar nicht so lange her. Wo genau seid ihr unterwegs gewesen und wie lange? Wie kann ich mir das alles vorstellen?
Robert Krause: So eine Reise bedarf einer recht aufwendigen Vorbereitung. Wir wollten eine Reise in die einsamsten Regionen Nord-Kanadas, im Yukon-Territory und Alaska machen. Die Planung, gemeinsam mit den Jungs, dauerte ungefähr drei Monate, außerdem wollte ich während dieser Zeit auch einen Film drehen. Wir sind nach Whitehorse / Kanada geflogen und haben uns von dort aus mit einem Truck 400 Kilometer in die Wildnis fahren lassen und sind dann mit Wildwasserbooten auf dem Pelly River gestartet. Zwei Mann pro Boot, also drei Boote, mit jeweils ungefähr 100 Kilo Gepäck: Nahrung, Zelte und das ganze Wildwasser-Equipment. Damit waren wir knapp zwei Wochen unterwegs.
Marita Eckmann: Du und Deine Söhne?
Robert Krause: Jeder durfte noch einen Freund mitnehmen. Mein Freund Walter war mit dabei, er war derjenige mit der Outdoor-Kompetenz. In einem zweitägigen Crash-Kurs hat er uns das Paddeln beigebracht und dann sind wir mit Wildwasser-Booten los. Das klassische Nordkanada-Abenteuer. Wir haben dann vier Tage Pause gemacht, um ein Floß zu bauen.
Marita Eckmann: Woher wusstet ihr, wie man ein Floß baut?
Robert Krause: Ein Floß zu bauen ist kein Hexenwerk, Walter und ich hatten schon etwas Erfahrung. Wir haben neun große (tote) Bäume gefällt, sie zugeschnitten und durchs Unterholz gezerrt, ins Wasser gebracht und dann das Floß aufgebaut. Und dann sind wir mit dem Floß losgefahren: drei Wochen durch Nordkanada bis zur Grenze nach Alaska und dann noch mal eine reichliche Woche in Alaska.
Freiheit von allen zivilisatorischen Zwängen
Marita Eckmann: Wow! Auf der einen Seite ist man dort abhängig von der Natur und gleichzeitig ist man frei. Wie würdest du die Freiheit beschreiben, die ihr dort hattet?
Robert Krause: Wir waren erst einmal befreit von allen modernen Medien: kein Handy, kein YouTube, kein Fernsehen. Es war sehr schön zu sehen, wie junge Menschen, die sonst an der Social Media-Nadel hängen, aufblühen, wenn sie so was nicht mehr haben. Das war toll. Sie haben angefangen zu lesen. Alle haben z.B. Heinrich Böll gelesen.
Und dann waren wir natürlich auch frei von den ganzen anderen Zwängen. Wir mussten weder toll sein vor den anderen, noch mussten wir eine Hausarbeit schreiben. Meine Söhne mussten keine Prüfung ablegen oder früh in die Schule gehen. Ich musste auch keinen Job machen. All diese Zwänge, die wir zu Hause haben, hatten wir nicht.
Steine, die im Leben im Weg liegen frühzeitig sehen, sie umschiffen und den Rest treiben lassen
Unser Leben bestand aus ganz einfachen Dingen: Früh morgens ein Lagerfeuer machen, Kaffee kochen und das Wasser fürs Müsli heiß machen. Die Zelte abbauen, das Floß klar machen und dann den ganzen Tag auf dem Floß den Fluss meistern. Das ist mitunter gar nicht so easy, aber mehr muss man nicht tun. Wir trieben dahin und das ist vielleicht die schönste Art der Fortbewegung, die es gibt.
Sich auf einem Floß mit der Geschwindigkeit des Flusses fortzubewegen und sich nur um die Hindernisse oder Schwierigkeiten, die so kommen, kümmern.
Man muss den Fluss anfangen zu lesen, rechtzeitig drauf zu reagieren, um mit dem Floß in keine Stromschnelle reinzukommen, gegen einen Felsen zu fahren oder auf einer Sandbank zu landen. Aber das sind eben die Steine, die einem manchmal im Leben im Weg liegen. Die frühzeitig zu sehen, sie zu umschiffen und den Rest treiben lassen.
Marita Eckmann: Ihr habt euch, im wahrsten Sinne des Wortes, durch das Land, über den Fluss und durch die Zeit treiben lassen.
Robert Krause: Ja, so kann man das sagen. Und wir haben dabei 1100 Kilometer zurückgelegt.
Marita Eckmann: Wow! Was für ein Abenteuer.
Robert Krause: Mein jüngerer Sohn ist wieder mit zu mir nach Hause gekommen. Wir sind die beiden, die jetzt noch das zivile Leben weiterleben. Diese Freiheit war der Wahnsinn. Es fällt uns schon schwer, wieder hier zu sein, in unserem normalen Leben.
Marita Eckmann: Was fällt besonders schwer?
Robert Krause: Mit Abstand zu erleben, wie unsere westliche Welt funktioniert, das fällt schwer. Wir haben jetzt praktisch sieben Wochen lang keine Werbung gesehen, außer vielleicht das, was auf der Nudeltüte gedruckt war… Letztendlich zu erleben, dass unsere ganze Gesellschaft auf Konsum aufgebaut ist, auf Gewinnmaximierung, was völliger Irrsinn ist.
Marita Eckmann: Und was geht da verloren?
Robert Krause: Ich hatte so schöne Begegnungen mit meinen Söhnen und das heißt nicht, dass wir sieben Wochen lang ununterbrochen Deep Talk auf dem Floß gemacht haben. Wir saßen manchmal eine Stunde nur schweigend nebeneinander und haben nur in die Landschaft geguckt. Dann hat einer meiner Söhne den Kopf auf meine Schulter gelegt. Das war mitunter die einzige Interaktion in dieser Stunde. Aber was gibt es denn Schöneres?
Marita Eckmann: Du hast mir gestern gesagt, dass es alles noch so frisch ist, dass du noch gar nicht richtig erklären kannst, welche Bedeutung diese Erfahrung für dich und dein Leben hat. Man kann sich innere Freiheit auch im Alltag schaffen, wenn man sich zum Beispiel eine kleine Auszeit nimmt. Definierst du innere Freiheit jetzt neu? Was hat sich verändert?
Robert Krause: Das habe ich noch nicht so durchdrungen. Aber ich bin gerade sehr unangepasst. Ich habe im Job ein paar Mal nun NEIN gesagt an Stellen, wo ich noch vor der Kanada-Reise JA gesagt hätte und dann über meine Grenzen hätte hinweg latschen lassen. Und das lasse ich eben nicht mehr zu.
Marita Eckmann: Euer Abenteuer scheint eine tiefere Wirkung zu haben, als zum Beispiel vier Wochen Auszeit in den Bergen. Kann man das so sagen?
Robert Krause: Es ist auch die Erkenntnis, dass der Zustand, den wir dort erlebt haben, nicht mit Konsum verbunden war. Klar mussten wir die Boote kaufen und eine Regenjacke, aber das, was wir sonst im Alltag durch Konsum versuchen herzustellen, war dort das Sein.
Marita Eckmann: Ich würde das als Seinsqualität bezeichnen. Wenn alles, so wie es gerade ist, in Ordnung ist. Da ist kein Sehnen, keine Suche, sondern einfach sein.
Robert Krause: Und es war auch so unglaublich pragmatisch und irdisch, was wir da gemacht haben. Wir haben das eben nicht aufladen müssen mit einer spirituellen Suche, der wir uns hingeben und mit Meditation und Om, sondern einfach nur sein.
Marita Eckmann: Ihr habt euch quasi dem Menschsein hingegeben. Mitten im Leben und ganz bei euch selbst.
Robert Krause: Richtig. Und ich habe noch etwas gelernt: Das wirkliche Ankommen hat erst nach vier Wochen stattgefunden. Also das richtig „den Schalter umlegen“. Weil du vorhin von vier Wochen in den Bergen gesprochen hast. Ich glaube, wenn die Reise nur vier Wochen lang gewesen wäre, hätte sie weit weniger Kraft entwickelt.
Marita Eckmann: Gab es noch eine besondere Herausforderung während dieser Zeit?
Robert Krause: Tatsächlich gab es eine Prüfung für mich, ich hätte die Reise beinahe abgebrochen. Als wir in einer kleinen Stadt mit 1.500 Einwohnern einen Aufenthalt hatten, brach ich mir am zweiten Tag einen Zahn ab. Ich hatte eine Ruine im Mund, der halbe Zahn war weg, sehr schmerzhaft. Vor uns lag die letzte Etappe, zwei Wochen komplette Wildnis, ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Eigentlich war ich überzeugt, die Reise abbrechen zu müssen, denn es gab dort keinen Zahnarzt. Ich hätte nach Whitehorse fliegen müssen, was uns drei Tage gekostet und den ganzen Zeitplan durcheinandergebracht hätte.
Für mich gab es zwei Optionen: Weiterfahren, Schmerztabletten nehmen und schauen, was passiert, oder die Reise abbrechen.
Nachdem ich meinen Zahnarzt während einer Radtour durch die Dolomiten erreicht hatte meinte er nur: „Wenn du jetzt noch mit mir telefonierst, liegt die Wurzel nicht komplett offen.“ Er gab mir den Tipp, weiterzufahren und das habe ich dann auch gemacht.
Marita Eckmann: Du erzähltest mir von einer wunderbaren Erfahrung, die ihr als Team gemacht habt.
Robert Krause: Mit meinem Freund Walter hatte ich schon einige große Reisen gemacht und die Erfahrungen, die wir währenddessen in den Teams gemacht hatten, waren mitunter sehr schwierig. Wir waren beide gebrannte Kinder und nicht sicher, wie das jetzt laufen würde. Allerdings hatte ich ein gutes Gefühl, denn ich kannte meine Söhne und mochte auch deren Freunde sehr. Trotzdem konnte ich nicht abschätzen, wie sie in Extremsituationen reagieren. Wenn es krass kalt wird oder wenn wir mal in richtigen Schwierigkeiten sind. Ich habe auf solchen Reisen schon gestandene Männer heulen sehen.
Was wir dann erlebten, war total verrückt, denn es hat sich ein von sich selbst verwaltetes Team entwickelt, ein kollegiales Miteinander. Wir hatten eine tolle Gruppendynamik, obwohl wir ja fast sieben Wochen auf engstem Raum unterwegs waren.
Marita Eckmann: Was glaubst du, warum und wie das möglich war?
Robert Krause: Ein Grund ist vermutlich, dass sowohl Walter als auch ich, integrative Menschen sind. Natürlich hatte jeder auf seinem Gebiet eine Verantwortung im Team und wir hatten auch eine Führungsrolle, aber weder Walter noch ich haben sie, sagen wir mal, so autokrat ausgeführt.
Walter hatte die Outdoor-Kompetenz und trotzdem hat er oft mich oder noch mehr die Jungs um Rat und Meinung gebeten. Auch bei schwierigen Entscheidungen, die eigentlich in seinem Kompetenzfeld lagen. Dabei hat er ganz oft deren Empfehlungen angenommen und ich war immer sehr erstaunt, wie integrativ er sich damit auseinandersetzt. Er hat nie gesagt: „Nein, ich sage das jetzt so und das ist richtig“. Das hat dann dazu geführt, dass zum Beispiel mein jüngerer Sohn in brenzlichen Situationen das Ruder übernommen hat und plötzlich das ganze Team angeführt hat. Dem sind wir alle gefolgt, auch Walter.
Marita Eckmann: Wir haben ja oft das Bedürfnis, die Dinge zu kontrollieren. Weil wir denken, dass wir nur so zum Ziel kommen. Deine Erfahrung zeigt, dass die Dinge in der Freiheit entstehen, im Loslassen. Und plötzlich entsteht etwas ganz Überraschendes. In einem neuen Kontext werden plötzlich neue Kompetenzen sichtbar.
Robert Krause: Was die Jungs gelernt haben, war wirklich toll. Sie mussten lernen, einen Fluss zu lesen. Wo ist eine Stromschnelle? Wo ist ein Hindernis? Wo geht die Hauptströmung lang? Wo ist ein Kehrwasser? Bei einem Floß muss man früh reagieren, sonst kann es gefährlich werden, da ein Floß sehr träge ist. Sie haben auch alle gelernt, Brot zu backen in der Glut. Einer der Jungs hatte die Kompetenz, hat es den anderen beigebracht und dann haben sie abwechselnd Brot gebacken.
Marita Eckmann: Kaum ist der gewohnte Rahmen nicht mehr da, schon entsteht etwas Neues. Du brauchst deine Freiheit und gleichzeitig kannst du sie großzügig geben. Die angehenden Drehbuchautoren bekommen 23 Tage Zeit zum Schreiben. Das ist zwar ein fixer Rahmen und gleichzeitig ein erwartungsfreier Raum, in dem ganz viel entstehen kann.
Freiheit durch Rituale und Routinen
Robert Krause: Und da ist noch ein zweiter Aspekt, den ich mitgeben möchte, der frei macht und den wir zur Perfektion getrieben haben. Unser Leben auf dem Floß war sehr ritualisiert - also sehr einfach, sehr schlicht. Der Tagesablauf war immer derselbe. Früh aufstehen, die Bärenspur neben dem Zelt begutachten, kurz mal gruseln, Frühstück machen, Kaffee kochen, Zelt packen, Floß losfahren, Fluss meistern, Mittagessen machen, abends eine Zeltstelle suchen, Zelt aufbauen, Holz sammeln, Essen kochen, Brot backen, gute Gespräche führen, ins Bett gehen. Mehr gab es nicht.
Diesen Rhythmus haben wir jeden Tag gelebt und er macht unglaublich frei.
Denn wir haben unsere Entscheidungen und unsere ganze, sagen wir mal, Mind-Energie nicht in unseren Tagesablauf gesteckt, sondern hatten für alles andere den Kopf frei. Weil wir eben nicht in einem Dschungel von tausenden Optionen und ständiger Reizüberflutung untergegangen sind. Das Leben bestand statt aus 10.000 Entscheidungen, die ich im normalen Leben täglich treffe, aus vielleicht nur Sieben (lacht).
Marita Eckmann: Dass Rituale den Kopf frei machen, war mir so nicht bewusst. Hast du zum Ende des Interviews noch einen Gedanken für uns? Vielleicht können wir nochmal diesen Kreis schließen vom jungen Mann, der geflüchtet ist, um in die Freiheit zu gehen.
Robert Krause: Na ja, mein Leben ist schon sehr geprägt davon – und das habe ich, glaube ich, von meinem Vater –, dass ich jede Art von Institution sehr skeptisch betrachte und versuche, mich so weit wie möglich freizumachen, um nicht von einer Institution abhängig zu sein.
Was eben auch bedeutet, dass ich noch nie einen angestellten Job gemacht habe, sondern als freier Kreativer arbeite. Ich habe meine eigene Firma und da bin ich mein eigener Herr. Auch als Lehrender arbeite ich frei. Ich arbeite für verschiedene Hochschulen und habe eine Honorarprofessur. Ich komme dort hin, habe vier schöne Wochen und dann gehe ich wieder. Ich bin von der Institution Filmhochschule nicht abhängig und wenn die Filmhochschule mir morgen irgendwie nicht taugt, gehe ich halt zu einer anderen. Das ist etwas, was mich sehr, sehr frei macht und das war schon immer so.
Marita Eckmann: Und gleichzeitig nehme ich die Art, wie du deine Freiheit lebst, als sehr im Gleichgewicht wahr. Das hat nichts Rebellisches für mich. Ich habe den Eindruck, dass du immer einen Weg für dich findest. Egal in welchem Kontext. Um einmal mehr Tina Maria zu zitieren: „Ohne mit der Machete durch den Wald zu gehen.“
Robert Krause: Solange die andere Seite kollegial mit mir umgeht, habe ich keine Machete. Nicht mal bei mir. Wenn es mir nicht mehr passt, klappe ich dann auch nicht zusammen, sondern ich gehe und suche mir einen anderen Weg.
Marita Eckmann: Deine Art Freiheit hat für mich etwas Selbstverständliches. Es macht dich als Menschen aus. Vielen Dank für dieses wunderbare Interview.
Robert Krause: Vielen Dank zurück.
Robert Krause (*17. März 1970 in Dresden) ist ein deutscher Schriftsteller und Filmemacher.
Seit 1998 ist Krause als Autor und Regisseur tätig. Seit 2012 unterrichtet er außerdem an der HFF München Creative Writing und Drehbuch. Zusammen mit seinem Seminar- und Drehbuchpartner Prof. Florian Puchert entwickelte er verschiedene Masterclasses, u.a. „Drehbuch in 23 Tagen“. Heute lehrt Robert Krause als Honorarprofessor an verschiedenen Filmhochschulen (München, Babelsberg, Ludwigsburg). Als Regisseur und Autor realisierte er bisher zahlreiche Filme und Serien, darunter die Publikumserfolge Sisi für RTL/ORF (in über 120 Länder verkauft) und Unsere Wunderbaren Jahre für die ARD oder die internationale Serie Dignity für JOIN / Amazon (Grimme-Preis-Nominierung).
Außerdem schrieb er das Drehbuch für den preisgekrönten Fernsehfilm Für eine Nacht und immer und wurde für sein Kinodrehbuch Syrakus für den Deutschen Drehbuchpreis nominiert. Seine Romane Sisi (Co-Autorin Elena Hell) und 3 ½ Stunden wurden Spiegel-Bestseller.